Nachruf

Ernst Pries
28. Juli 1933 – 25. April 2022

Am 25. April 2022 verstarb das Mitglied der AG Geobotanik MV, der forstliche Standortserkunder und Ornithologe, Ernst Pries im Alter von 88 Jahren.

Er wurde am 5. Mai 2022 in Lüdershagen (Lkrs. Rostock) beerdigt.

Am Ort seines jahrzehntelangen Wirkens, im Biosphärenreservat Schorfheide-Chorin, wird am 30.4.2023 an der Kirche in Alt Placht ein Gedenkstein – natürlich Findling – aufgestellt werden, wo „in Stein gemeißelt“ Ernst Pries gedacht wird.

Die Trauerrede von Prof. Michael Succow (Greifswald), gehalten im Beisein seiner Frau Monika, Familie, Wegbegleitern und Freunden, zeichnet ein Bild seines eindrucksvollen Lebensweges und wird nachfolgend – leicht gekürzt und verändert – wiedergegeben.

Trauerrede für Ernst Pries

Monika Pries bat mich, hiermit Erinnerungen wach zu halten an eine ungewöhnliche, unverwechselbare, prägende Persönlichkeit, ihren Mann, unseren Ernsting, der über viele Jahrzehnte zu uns gehörte. Ein paar Tage vor seinem Tod telefonierten wir noch miteinander. Er hatte immer noch im Ringen um Zukunftsfragen Botschaften, die er mir mitgeben wollte.

Was zeichnete Ernst Pries im Besonderen aus:

Seine tiefe Naturliebe, verbunden mit Menschenliebe, eine Erdberührung, der Drang nach Naturwissen und daraus resultierend Erdverantwortung.

Ein nicht enden wollender Einsatz zum Erhalt der Funktionstüchtigkeit unserer Biosphäre, unseres so ökologisch gebauten Hauses Erde.

Sein Ringen um ein Zusammenspiel des Menschen mit der Natur.

Und so erlebte ich Ernst schon bei unseren ersten Begegnungen, das war am Beginn meines Biologiestudiums in Greifswald. Das waren vor ca. 60 Jahren vor allem die Floristentreffen, die unser unvergessener Werner Rothmaler und dann schon bald Franz Fukarek in den Landschaftsräumen Mecklenburgs durchführte, und natürlich oft auch im nördlichen Brandenburg. Schon damals hatte er ein tiefes botanisches Wissen, verbunden mit dem Wissen eines Standorterkunders, eines Bodenkundlers. Ernst Pries war eine imposante Gestalt, sein Hinterfragen, sein immer noch Lachenkönnen auch bei ernsten Ereignissen, sein Wissen, sein ökologisches Denken, seine ungewöhnliche Landschaftsverbundenheit, all das beeindruckte mich stark und er erschien mir wie ein „Überhälter“. Sein Lehrmeister war unser unvergessener Dietrich Kopp, auch für mich war er einer der wichtigsten Lehrer. Er wäre im letzten April 100 Jahre alt geworden. Ernst Pries trug wesentlich zum hohen Niveau der forstlichen Standortskunde bei, hat viele junge Forstleute ausgebildet, auf den rechten Weg gebracht. Gern erinnere ich mich, wie Ernst Pries in den 60er Jahren zum Report im Schwappachweg in Eberswalde bei Dietrich Kopp war, stets in Knickerbockerhosen, der grünen Forstjacke und einer großen, über die Schulter gehängten Kartenrolle. Oft tauchte er dann auch bei uns auf und hat auch meine Töchter sehr beeindruckt. Wir alle hatten großen Respekt vor ihm. Es war dies die große Zeit der Naturraumkunde, fast jedes Jahr gab es um die Zeit des Geburtstags von Dietrich Kopp Tagungen, Lehrwanderungen, einmal sogar mit sechs Planwagen in den Choriner Raum. Das Konzept der Naturraumkunde, das Begreifen des Zusammenwirkens von Boden, Relief, Wasserhaushalt, Vegetation und Klima erfasste uns alle.

30 Jahre waren wir so verbunden, wurden im „real existierenden Sozialismus“ nicht Werkzeug der Funktionäre, ließen uns nicht vereinnahmen. Die Natur gab uns Freiraum. Sie nachhaltig zu nutzen, ohne zu vernutzen war unser Anliegen. Schon früh erkannte Ernst, dass der Erhalt der Funktionstüchtigkeit der Natur die wohl bedeutendste Sozialleistung für unsere Zukunft sein dürfte.

Bei seinem Wirken möchte ich unbedingt auch seine Liebe zu den Vögeln erwähnen, denn er war ja auch ein bekannter Ornithologe. Die Gewässer um seinen Wohnsitz hatten es ihm angetan, insbesondere seine Liebe zu den Eisvögeln. Über fünf Jahrzehnte hat er jährlich ihre Brutröhren kartiert, den Nachwuchs registriert und so ein umfangreiches Material zum wechselvollen Vorkommen dieses Vogels erarbeitet. Es sollte unbedingt aufgearbeitet werden! Aber auch der Verlust der Wassergüte der Seen, das Sterben der Schilfbestände, haben ihn bewegt und er kämpfte, um diese Fehlentwicklungen aufzuhalten.

So gäbe es noch an unendlich Vieles zu erinnern: die Tagungen im Kulturbund, wo Ernst mutig die wachsenden Probleme im Umgang mit der Natur aufzeigte, dazu Papiere formulierte. Auch möchte ich die naturkundliche Prägung unserer Alt-Bundeskanzlerin Angela Merkel durch Ernst erwähnen, denn sie war eine emsige, kluge Schülerin bei den Naturschutzprojekten, die er ehrenamtlich betreut hat – sie wohnt ja nach wie vor im Biosphärenreservat und beide hatten bis zuletzt Kontakt.

Und dann kam die Zeit der Wende: Die Jahre 1989/90. Für uns war es die Zeit der größten Freiheit, der größten Gestaltungsmöglichkeiten, größter Erfolge, den Kapitalstock Natur zu sichern. Und Ernst Pries war in dieser Phase des Untergangs der DDR an vorderster Front mit dabei. Die Abschaffung der Staatsjagdgebiete war dabei ein wichtiges Feld, auch die Freigabe erster Truppenübungsplätze. Die Umweltbewegten im Kulturbund und der Kirche waren wichtige Akteure, das darf nicht vergessen werden.

Ich war dann ja von Januar bis Mai 1990 als Vizeminister zuständig für Naturressourcenschutz und Landnutzungsplanung im neu organisierten DDR- Ministerium. Unser Ernsting war einer der ersten, die schon Mitte Januar zu mir kamen. Ich erinnere mich noch genau, wie er, wieder mit großer Kartenrolle, zu mir ins Ministerium kam. Keine Grundsatzdiskussion! Aber beseelt von den Möglichkeiten, die verhassten Staatsjagdgebiete, die Grenzsicherungsräume und auch erste Armeegebiete in Großschutzgebiete zu führen. Ernst Pries war der beste Kenner der Landschaft, der Natur der Uckermark. Und so lautete der Auftrag, in diesem Raum ein UNESCO- Biosphärenreservat zu konzipieren, mit Kernzone, Pufferzone und Entwicklungszone. Ich gab ihm dafür maximal drei Wochen Zeit, die Größe des Gebietes sollte bei etwa 100.000 Hektar liegen. Schon nach 14 Tagen kam er mit großer Kartenrolle ins Ministerium. Etwas bedrückt, aber lächelnd, mit der Information, dass das Gebiet in seiner Naturausstattung so vielfältig sei, dass es nun etwa 125.000 Hektar Größe umfassen sollte. Ja, und so wurde es schon im Februar in dieser Größe am zentralen Runden Tisch „durchgewinkt“. Und so ist heute das Biosphärenreservat Schorfheide-Chorin in der Tat die Landschaft mit dem größten Flächenanteil an ökologischem Landbau. Eine seiner Kernzonen (im einstigen Staatsjagdgebiet) konnte vor ca. 10 Jahren sogar in das UNESCO-Welterbecluster Europäische Buchenwälder aufgenommen werden: der Grumsiner Wald. Ernst hat entscheidend dazu beigetragen!

1991 gründeten wir ein NABU-Institut für Naturschutz, um die nun freiwerdenden Truppenübungsplätze mit Schwerpunkt in Brandenburg naturwissenschaftlich zu bewerten. Ich war Direktor und Ernst mein erster Mitarbeiter, der souverän eine Bestandserfassung dieser unbekannten Räume vornahm, um große Teile davon als Schutzgebiete ausweisen zu können.

Wie viele Naturschutzgebiete hat Ernst konzipiert, ausgewiesen und ihre Pflege gesichert! Wie hat er unter den vielerorts entstehenden Anlagen der Massentierhaltung gelitten, ihren unverantwortlichen Auswirkungen auf den Boden, die Wälder, die Umwelt! Wie viele Auseinandersetzungen hat Ernst geführt, und es gab Erfolge. Dazu gehört der Kampf gegen die seinerzeit größte Schweinemastanlage Europas in Hassleben, die zum Ende der DDR fertig wurde und dann dank seiner unermüdlichen Aufklärungsarbeit, Demonstrationen, Publikationen nicht in Betrieb genommen wurde.

Immer wieder hat Ernst sehr viele Menschen mobilisiert, auch nach der Wende. Seine Frau Monika stand hinter ihm, schrieb seine Texte, war sein Taxi, überbrachte die Vorlagen. Ihrer beider Haus war immer wieder Treffpunkt für erfreuliche Begegnungen. Ernsts Kampf gegen die zunehmende Devastierung, ja Ruinierung unserer Agrarlandschaft im „real existierenden Kapitalismus“ währte bis in seine letzten Lebenstage. Insbesondere die in ihrer Biodiversität noch relativ vielfältigen „Grenzertragsstandorte“ sollen aktuell mit Photovoltaikanlagen zugepflastert werden. Noch in den letzten Wochen seines Lebens schickte Monika mir umfangreiche Ausarbeitungen für Politiker, um das zu verhindern. Das letzte Paket, das Monika mir zugeleitet hat, trägt noch kurze handschriftliche Anmerkungen von Ernst, datiert vom 4. März 2022: mit Rotstift Anmerkungen, Verbesserungen! All das als schon schwer kranker Mensch. Ich hatte es den Politikern, nun in einer neuen Regierungskonstellation erstmals im Zusammenspiel von Bundesumwelt- und Bundesagrarministerium, zu übermitteln.

Ernst Pries wirkte nach der Wende lange im Kreistag, hielt zündende Reden und kämpfte gegen den Ausverkauf seiner in weiten Teilen unverbrauchten Wald- und Seenlandschaft. In guter Erinnerung bleibt die Feier zu meinem 80. Geburtstag in der Greifswalder Stadthalle im August letzten Jahres, Ernst und Monika waren dabei, Ernst schon tief gebeugt, aber immer noch mit blitzenden Augen und seinem freundlichen Lachen.

Seine Frau Monika, von Ernst immer Mieze genannt, hat aufopferungsvoll mitgetragen, was dieser so ungewöhnlich aktive Mensch sein Leben lang in die Wege leitete. Sein rastloses Wirken brachte viele Niederlagen, aber auch immer wieder Erfolge – das galt sowohl für die DDR-Zeit als auch für die uns umgebende neue Gesellschaftsordnung. Naturzerstörung, Naturdegradierung der uns tragenden Ökosysteme sind inzwischen noch intensiver, noch „effizienter“, noch raffinierter geworden.

Nun gilt es Abschied zu nehmen von einer großen Persönlichkeit, einem unbeugsamen Charakter, der die Rechte der Natur wie auch der Menschen immer wieder zu verteidigen angetreten ist. Ernst war ein großer Aufklärer, ein herzlicher, liebevoller Mensch, er war in den erlebten zwei Gesellschaftssystemen immer Außenseiter – aber mit großer Wirkung. Er wird uns unvergessen bleiben, in uns weiter leben!

„Du bist nicht tot, Du wechselst nur die Räume.
Du lebst in uns fort und bewahrest unsere Träume.“

Diese Worte werden Leonardo da Vinci zugeschrieben. Die Kette darf nicht reißen, es muss weiter gerungen werden, um die Zukunftsfähigkeit, die Enkeltauglichkeit unserer Zivilisation doch noch zu sichern. Viele junge Menschen geben uns Hoffnung mit ihrem Aufbegehren. Verneigen wir uns vor einer großen Persönlichkeit mit wachem Verstand und fühlendem Herzen.

Lieber Ernst, wir werden Dich vermissen! Dein Vermächtnis ist auch unser
Vermächtnis.

Michael Succow

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